Hab ich vergangene Woche über die Bereitschaft geschrieben, Verantwortung für etwas zu übernehmen, so geht es mir jetzt um einen anderen Aspekt der Verantwortung: die Selbstverantwortung. Die Bereitschaft also, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Klingt eigentlich selbstverständlich, dass man für sich und für sein Leben die Verantwortung übernimmt – ist es aber nicht. Und das ist einen zusätzlichen Blick wert.
Selbstverantwortung: Als Selbstverantwortung bezeichnet man die „Bereitschaft und die Pflicht, für das eigene Handeln und Unterlassen Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, dass man für das eigene Tun und Unterlassen einsteht und die Konsequenzen, etwa in Form von Sanktionen, dafür trägt.“
Selbstverantwortung bedeutet, Verantwortung für das eigene Tun und Unterlassen – und für eigene Entscheidungen zu tragen. Das bedeutet demzufolge auch, dass ich verantwortlich bin für die Konsequenzen und Folgen, die aus meinen Entscheidung folgen. Ich bin der/die Handelnde, ich bin Steuerfrau und Kapitän, ich bin der Herr, ich bin die Frau in meinem Leben! Ich bin mir bewusst, dass ich bewusst und unbewusst Entscheidungen fälle – und treffe die Entscheidungen – so gestalte ich mein Leben.
Selbstverantwortung zu übernehmen hat Konsequenzen, Selbstverantwortung nicht zu übernehmen scheint einfacher, leichter – hat aber auch Konsequenzen. Übernehme ich keine Selbstverantwortung, so habe ich immer die Möglichkeit, die Verantwortung für meine Situation, für mein Tun und für mein Nicht-Tun, für Gesagtes oder Nicht-Gesagtes, für unliebsame Entwicklungen und Zustände anderen zuzuschieben: der oder die ist verantwortlich, der oder die ist schuld (natürlich sehr gerne Vorgesetzte oder das Management), die Umstände im Allgemeinen und das Leben im Besonderen. Ich kann nichts dafür – spreche mich frei. Spreche mich aber auch frei von der Möglichkeit, zu verändern, was zu verändern möglich wäre, und was zu verändern ist.
Ohne Selbstverantwortung handle ich nicht für meine Belange, kümmere mich nicht um mich, überlasse mein Leben anderen, verharre in Untätigkeit und konsequenterweise auch bald in Selbstmitleid. Man kümmert sich nicht genug um mich, das Leben oder andere sind ungerecht, ich werde verkannt, meine Stärken, meine Leistungen nicht gesehen, … man gibt mir zu viel Arbeit, die Belastungen sind zu hoch, der/die Chefin eine schlechte Führungskraft, moderne Zeiten unmenschlich, … Viele Möglichkeiten, sich mithilfe der Verantwortungsunterlassung als Opfer, sich als schuldlos zu betrachten. Das scheint praktisch.
Mit Selbstverantwortung reflektiere ich meinen Anteil, erkenne ich meine Möglichkeiten einzugreifen und zu handeln – zu gestalten. Auf einmal passiert es, dass ich einen Fehler – oder mehrere Fehler begangen habe: einfach ungeschickt war; schlecht verhandelt habe; im falschen Moment bescheiden aufgetreten bin, die Erfolge anderen und dem Glück zugesprochen habe; die Zusammenhänge nicht erkannt, zu „eindimensional“ gedacht habe; in einem Umfeld geblieben bin, dessen Kommunikationsformen und dessen Werte ich nicht teile; meine Freizeit den internen Anforderungen und meiner Verantwortung für unsere Aufgabe vorgezogen habe; lieber in meiner Komfortzone geblieben bin, als mich zu riskieren und anders als gewohnt zu handeln; es verpasst habe, mich um mein irritiertes Selbstwertgefühl zu kümmern und Selbstbewusstsein aufzubauen … Und und und… viele Möglichkeiten, zu erkennen, dass ICH meinen Beitrag am Misserfolg hatte. Und mein Misserfolg auch eine logische Konsequenz meines Handelns und Unterlassens ist. Wenn ich aber dazu bereit bin, dies zu erkennen und die Selbstverantwortung zu übernehmen, so kann ich anfangen, aus der Passivität herauszutreten und das zu verändern, was ich verändern kann – und das ist oft mehr, als ich geneigt bin zu denken, in der Situation mangelnder Selbstverantwortung. Das Zepter für mein Leben zu ergreifen, das ist die Basis für mehr Zufriedenheit: das eigene Leben gestalten – Selbstverantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
Handeln wir nicht, überlassen wir die Entscheidungen über unser Leben anderen, so geraten wir in eine Spirale der Untätigkeit, bald des Ausgeliefertseins und schließlich erleben wir das Gefühl der Ohnmacht. Aber nichts ist schlechter für Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl als das Gefühl der Ohnmacht. Von einem freien und selbstbestimmten Leben sind wir schließlich auch meilenweit entfernt! Und das wiederum verstärkt das Gefühl der Ohnmacht, der Passivität, des Ausgeliefertseins. {Sie erinnern sich? Menschen bereuen auf dem Sterbebett nicht die Fehler, die sie begangen haben, sondern das, was Sie nicht getan haben!}
Natürlich sprechen wir in der Beratung auch über Möglichkeiten, die eigene Verantwortung (wieder) zu ergreifen, ins Handeln zu kommen und das eigene Leben, beruflich und privat, selber zu verändern und positiv zu gestalten. Auch wenn es nicht gleich beim ersten Versuch gelingt, die Tatsache, Verantwortung für sich zu übernehmen, in Bewegung zu kommen, erfüllt die meisten bereits mit Stolz und gibt Kraft für die nächsten Schritte.
Fast täglich werden wir aber derzeit konfrontiert mit der Verlockung, die Verantwortung für unser Handeln NICHT zu übernehmen. Werden wir in eine Denkschleife geführt, die uns sagen will, jemand wäre da, der für uns denkt, für uns spricht und auf uns aufpasst. Und die Verantwortung für unser Tun und für unser Lassen übernimmt: die lauten Diskussionen über Risiko und Gefahren der E-Scooter lassen mich staunen. Hier wird uns die Verantwortung abgenommen. Ist es nicht klar, dass ich selber dafür Sorge zu tragen habe, keinen Unfall zu bauen? Dass ich verantwortlich bin, wenn ich ein vorhandenes Angebot falsch nutze und Schaden anrichte? Wenn ich mein Handeln und meine Fähigkeiten schlecht einschätze und auf die Nase falle? Natürlich darf ich anderen nicht schaden: auch dafür muss ich Sorge tragen, das lerne ich schon ganz früh! Warum wird mir das abgesprochen?
Worum es mir geht ist, dass mit dieser Form der Diskussion ein Geist geweckt wird, der kontraproduktiv ist. Dieser macht aus verantwortlichen Menschen, Menschen, die nicht selber auf sich aufpassen, die keine Verantwortung tragen können. Im Einzelnen mag das schön und gut sein, als gesellschaftliche Diskussion in Bezug auf die winzigen E-Scooter sehe ich dies als „gesellschaftliche Fehlleitung“, als eine verschriebene „kollektive Regression“: wir werden alle zu Kindern! Und das unter dem Deckmantel der Sicherheit. Es wird uns gezeigt, dass es gut ist, keine Verantwortung zu übernehmen, dass bei einem Fehler, jemand anderes Schuld hat, nämlich der E-Scooter oder der E-Scooter-Anbieter. Das ist absurd! Wenn ich über eine rote Ampel gehe, dann muss nicht die Ampel weg, weil sie verkehrt ist, nicht die Gemeinde hat einen Fehler gemacht und hat „schlechte Ampeln“ aufgestellt. Alleine ich habe fehlerhaft gehandelt.
Ja, das Leben IST mitunter gefährlich: wir können auch mal stolpern, stürzen und wir können auch einen Unfall verursachen, das kann passieren. Wir können auch aufstehen und gehen, weiter gehen. Das Leben steht denen offen, die selbstständig und frei leben und selbstbestimmt und selbstverantwortlich die Entscheidungen für ihr Leben fällen! Dann erkenne ich meine eigenen Möglichkeiten, trete für diese ein, gestalte aktiv mein Leben. Und das ist das, was zählt!
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