„Ich kann nicht nachvollziehen, wie dieser Prozess zu einer guten Besetzung der Stelle führen soll!“, sagte ein Kollege diese Woche zu mir. D. hatte sich für die Stelle des Betriebspsychologen beworben und das Bewerbungsgespräch gerade hinter sich gebracht. „Und außerdem habe ich selber keinerlei Chance bekommen, mich selber für die Stelle entscheiden zu können.“
Die Stellenausschreibung schien wie für ihn gemacht, alle Aufgaben kannte er aus seiner bisherigen Erfahrung als selbstständiger und erfolgreicher Trainer und Coach. Die Aufgaben hörten sich interessant an, die Bezahlung war hingegen eher mäßig (nach TVöD offen kommuniziert). Da diese aber in Teilzeit und befristet zu besetzen war, konnte sich D. das gut vorstellen: im Team wieder langfristiger in einem Unternehmen an spannenden Aufgaben zusammen mit interessanten Menschen zu arbeiten und die Ergebnisse seiner Arbeit auch zu ernten – das machte die Position attraktiv.
Das Bewerbungsgespräch mit vier Gesprächspartnern war streng strukturiert, das heißt, alle Fragen waren vorher ausgearbeitet worden und wurden wie in einem Interview nacheinander gestellt, Nachfragen waren selten, ein Dialog kam nicht zustande. Die Personen am Tisch waren äußerst bemüht, keine Miene zu verziehen und keinerlei emotionale Beeinflussung zu bewirken, um die Beurteilung streng objektiv zu halten. Einige Rollenspielchen mit gestellten Situationen rundeten die „Darbietung“ ab.
Gut vorbereitet (und mit mir geübt – das war ja sein erstes Bewerbungsgespräch seit 25 Jahren!) hat D. die Abfrage seiner bisherigen Erfahrung und die Theater-Sequenzen innerhalb einer guten Stunde hinter sich gebracht. Vorher hatte er bereits alle Unterlagen, von der Geburtsurkunde, dem Abi-Zeugnis, dem Einmusterungsbescheid, allen Abschluss-, Arbeits- und Fortbildungszeugnissen in beglaubigter Version abgeben müssen. Ihm wurde mitgeteilt: ‚In ungefähr vier, fünf Wochen bekommen Sie wahrscheinlich Bescheid, wie wir uns entschieden haben. Sie sind ja kurzfristig einsetzbar, nicht?‘
Aha, nach diesem Gespräch mit ihm und den Mitbewerbern war die Entscheidung für die befristete Stellenbesetzung von Seiten des Arbeitgebers also erfolgt. Ganz ehrlich: wir sind mit dem Kopfschütteln nicht fertig geworden.
Auf welcher Grundlage soll sich D. eigentlich entscheiden? Wie wird hier zusammengearbeitet? Er selber hat keinerlei Empfinden für die Menschen im Haus erhalten, für die Art der Zusammenarbeit mit den Involvierten. Dabei geht es doch bei der Arbeit in den seltensten Fällen allein um die Aufgabenbewältigung, menschliche Faktoren sind doch auch wichtig ebenso wie Unternehmenskultur, Einbindung in den Gesamtkontext, Umgang miteinander – vor allem bei nicht üppiger Bezahlung.
Im Übrigen wurden in der Stellenanzeige natürlich Kooperations-, Kommunikationsfähigkeit ebenso vorausgesetzt sowie Empathie, Vertrauenswürdigkeit und vieles mehr. Angefühlt habe sich die Atmosphäre aber wie Alleine-im-Regen-stehen. Spaß an der Bewältigung von Herausforderung und Freude am gemeinsamen Meistern wichtiger Aufgaben… ob es dafür überhaupt eine Ahnung bei diesen Personen gab? Einen über 50-Jährigen abzufragen wie einen Schuljungen, das spricht doch für sich, spiegelt ein klares Bild von Oben-Unten, von Falsch-Richtig und keineswegs eines von Miteinander und Komplexität. Wie ein Betriebspsychologe mitverantwortlich für den Aufbau des Gesundheitsmanagements, des Konfliktmanagements und der Teamentwicklung hier wohl wirken soll?
D. war am Ende des Gesprächs aufgefordert worden, seine Motivation für die Stelle noch in einem Schreiben an Fach- und Personalleitung zu schreiben. Was er schreibt?
Er hat sehr wahrscheinlich kein Interesse mehr an der Stelle. Die Aufgaben sind sicherlich weiterhin spannend, aber es wären noch mehr Gespräche nötig, damit sich auch er als Kandidat auf guter Informationsgrundlage und einer emotionalen Einschätzung für diese Stelle entscheiden kann. Es sei ihm nach diesem Gespräch nicht möglich zu wissen, ob er mit den Beteiligten wirklich zusammen arbeiten wolle.
Ein Bewerbungsgespräch ist doch wie ein erstes Date! Beide müssen Gefallen aneinander finden, um in engeren Kontakt zu kommen und auch einzuschätzen, ob es sich überhaupt lohnt, einander näher kennenzulernen.
Gut können wir uns hier vorstellen, dass Menschen jetzt im Rennen bleiben, die keine große Wahl haben. Aber ob dies im Sinne der Stelle ist?
Da hat es gut gepasst, dass ich Anfang der Woche von einem Buch gelesen habe, die Recruiterin und Headhunterin Brigitte Hermann kritisiert den Auswahlprozess in Deutschlands Unternehmen: „Die Auswahl. Wie eine neue starke Recruiting-Kultur den Unternehmenserfolg bestimmt“.
Darin schreibt sie, dass mehr als ein Drittel aller Stellen in Deutschland falsch besetzt sind, dass sich jedes zweite mittelständische Unternehmen selbst schlechte Noten bei der Personalauswahl gibt – aber nichts verändert, dass 62% der Personalverantwortlichen zugeben, dass es ihnen schwerfällt, die richtigen Kandidaten für offene Positionen auszuwählen, und dass im Extremfall jede dritte Stelle nicht mit der optimal geeigneten Person besetzt ist, was mit Verlusten pro Stelle zwischen € 30.000 bis € 700.000 verbunden ist – konservativ gerechnet.
Was auf der Strecke bleibt, so Brigitte Hermann, ist die Tatsache, dass der Mensch mit seinen individuellen Stärken, Interessen und seinem Potenzial nicht ausreichend im Fokus steht. Die individuelle Entwicklungsfähigkeit eines Menschen wird aber wichtiger denn je, um den sich verändernden Anforderungen in einer immer komplexeren Welt gerecht zu werden. „Wenn ein Unternehmen langfristig erfolgreich sein will, gilt es den Menschen nicht als Be-Werber oder Mit-Arbeiter sondern als individuelles Teammitglied zu sehen – mit seinen ureigensten Kompetenzen, Stärken, Interessen, Bedürfnissen und mehr denn je mit seinem ganz speziellen Potenzial.“
Sie nennt in ihrem Buch viele Beispiele, eines möchte ich hier erwähnen: Der Mittelständler Bodo Janssen, Geschäftsführer der Hotelbetreibergesellschaft Upstalsboom aus Emden stellte nach einer niederschmetternden Mitarbeiterbefragung seine ganze Organisation um. Innerhalb von vier Jahren sank der Krankenstand von sieben auf drei Prozent, die Zahl der Bewerbungen stieg um 500 Prozent, die Mitarbeiterzufriedenheit stieg auf 80 Prozent und der Umsatz verdoppelte sich auf mehr als 42 Millionen Euro.
Brigitte Hermann schreibt: „Wenn nicht jetzt, wann dann ist also die gute Gelegenheit, einen Teil der Zukunft aktiv mitzugestalten?“. Wir müssen gewohnte Wege verlassen, Neues riskieren, um zu gewinnen.
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