„Wenn Menschen ihr Ideal, ihre Träume vergleichen mit der Wirklichkeit, dann hat die Wirklichkeit immer Pech“, sagte Bundespräsident a.D. Joachim Gauck neulich beim Interview. Es ging natürlich nicht um berufliche Neuorientierung, sondern um die Neuorientierung, die notwendig war, als die Mauer zwischen Ost und West fiel, als die Wiedervereinigung kam.

Das Gespräch hat mich beeindruckt, in wenigen Worten beschreibt der ehemalige Pastor, erster Verantwortlicher für die Stasi-Unterlagen, Verteidiger der Erinnerung und Bundespräsident in den Jahren 2012-17, die Schwierigkeiten, die Realität in ihrer Unzulänglichkeit anzunehmen. „… dass Menschen dazu neigen, das, was sie ersehnen, sich als vollkommen vorzustellen, als wunderbar, fehlerfrei. … Menschen sind aber nicht fehlerfrei und Gesellschaften schon gar nicht. Das heißt, aufzuwachen (…) war da nicht nur eine Enttäuschung, es war eine Begegnung mit der Realität. Wenn Menschen ihr Ideal, ihre Träume vergleichen mit der Wirklichkeit, dann hat die Wirklichkeit immer Pech.

Denn keine uns umgebende politische oder auch kulturelle oder menschliche Wirklichkeit ist ohne Brüche, Mängel und Fehler. Und deshalb gehört zum erwachsenen Bewusstsein dazu, dass man begreift: Es ist schön, aber nicht vollkommen.“ (Joachim Gauck)

Wie gehen wir mit Enttäuschungen um? Bereuen wir die Veränderung, bezeichnen wir unseren Mut als Übermut, als Wagnis, übergroßes Risiko – oder versuchen wir, mit der Realität klar zu kommen? Erkennen wir, dass Wirklichkeit und Wünsche gerne und meistens auseinanderklaffen?

Mutig Träume riskieren, ihre Realisierung über Hindernisse hinweg beständig verfolgen, das neue Leben erkämpfen – und dann die Spannung aushalten, dass zwischen Traum und Wirklichkeit eine Lücke bleibt? Oder doch lieber die Spannung aushalten, keine Träume haben, auf dem Boden der Tatsachen bleiben? Zufriedenheit… wo finden wir diese? Oder ist sie doch ein Luxus?

Eine große Entscheidung, die wir fällen müssen, wenn wir uns in einer Situation befinden, die unzufriedenstellend ist, an der wir leiden, die uns zu schaffen macht. Bleiben wir an unserem Arbeitsplatz, weil wir hier Sicherheit und Konstanz finden? Wagen wir Veränderung? Wagen wir vielleicht sogar das Bestmögliche – oder doch lieber einen kleinen, sicheren Schritt zu setzen?

Vielleicht hemmt uns ja die Unkenntnis, wie mit Enttäuschung, mit Ernüchterung, mit eventuellem Scheitern, umzugehen. Ich plädiere dafür, trotzdem seine Träume zu verfolgen oder eine unzufriedenstellende Situation zu verändern – und lieber zu lernen, mit einer möglichen Enttäuschung umzugehen. Und warum nicht nach dem Motto vorgehen: „Everything will be okay in the end. If it’s not okay, it’s not the end.“ (John Lennon) – Also: weitermachen… bis es gut, wirklich gut, ist!